AUS SICHT DER STIFTUNG DATENSCHUTZ: Die Einwilligung, immer noch ein Zukunftsmodell?
Ein Jahr nach Vorlage des Entwurfs zur ePrivacy-Verordnung diskutierten bei unserem DatenTag im Januar die Protagonisten leidenschaftlich zu den Aussichten dieses ambitionierten rechtspolitischen Vorhabens. Schon zuvor hatte sich uns ganz grundsätzlich die Frage gestellt, welchen Auswirkungen die neuerliche Verordnung wohl auf die Zukunft des Instruments der Einwilligung haben würde. Denn ePrivacy setzt voll auf die Einwilligung.
Angesichts der bekannten Defizite der Einwilligungspraxis ist das nicht gänzlich einleuchtend. Während die Datenschutz-Grundverordnung manche schon glauben ließ, die Einwilligung könnte neben anderen Rechtfertigungsgründen bei der Datenverarbeitung an Bedeutung verlieren, scheint nun ein neuer Blick angebracht.
Wir erinnern uns: Die Einwilligung ist das Königsinstrument der informationellen Selbstbestimmung. Direkter kann sich eine persönliche datenbezogene Autonomie nicht manifestieren, als in der konkreten Bestätigung des Willens des Datensubjekts.
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Keine Abwägung eigener Interessen durch andere, keine bevormundende Entscheidung des Gesetzgebers, sondern eigenes Dafürhalten und selbstbewusstes Durchbrechen des datenschutzrechtlichen Verbotsprinzips. Doch die hehre Vorstellung eines bewusst entscheidenden „Datenbürgers“, seine Selbststimmung permanent aus freien Stücken ausübend – diese Vorstellung findet immer weniger Entsprechung in der Lebenswirklichkeit der vernetzten Welt.
Ein Königsinstrument wird entwertet
Der Grad an Informiertheit der jeweils einwilligenden Person sinkt ständig. Auf Wissen und Bewusstheit fußt die Einwilligung oft nicht mehr, wahrhaft freiwillig ist sie zugleich immer seltener. Gerade online ist der Klick auf das „Ich stimme zu“-Feld meist nicht mehr das Ergebnis einer idealen Abfolge von Erkenntnis, Abwägung und bewusster Entscheidung, sondern lediglich eine weitere ungeduldig übersprungene Hürde bis zum ersehnten Beginn des Herunterladens und Nutzens eines digitalen Gutes. Manchmal gleicht die Zustimmungs-„Erklärung“ eher einer Abwehrreaktion auf eine Datenverwendungsanfrage – gleichsam wie wenn in einem sogenannten Ballerspiel ein störender Gegner auftaucht und möglichst rasch weggeklickt wird. Hauptverantwortlich für diese Abstumpfung ist zum einen die Alternativlosigkeit: Ohne Zustimmung zur meist umfangreichen beabsichtigten Datenverwendung und -verwertung der Gegenseite wird keine Nutzung des begehrten Dienstes gestattet. Weiterhin verantwortlich ist ein Art von Inflation. Die schiere Anzahl von Einwilligungserklärungen, die alltäglich abzugeben sind, senkt die gefühlte Wertigkeit dieses für den Selbstschutz der Privatsphäre so relevanten Zustimmungsvorganges empfindlich.
Im Bereich der Einwilligung bleibt aus unserer Sicht daher viel zu tun. Es gilt, der fortschreitenden Entwertung dieses an sich so bedeutsamen Instruments des Nutzers entgegenzuwirken. Wie das am besten geschehen kann, bedarf noch einiger Erörterung. Wissenschaft und Praxis sind gleichermaßen gefragt, wenn es um neuartige Lösungen geht. Eine gewisse Chance sehen wir in Assistenzsystemen, die beim Prozedere des Prüfens von Datenschutzerklärungen und des Zustimmens zu Datenverwendungen Unterstützung bieten (Personal Information Management Systems).
Legislative Kreativität gefragt
Wenn nun der Gesetzgeber mit der ePrivacy-Verordnung im Zweifel dafür sorgen wird, dass auf die geneigten Nutzerinnen und Nutzer noch mehr Einwilligungsanfragen niederprasseln als nach bisherigem Recht, dann regt das zur Frage an: Ginge es auch anders? Es ginge jedenfalls wohl differenzierter. Während sich in der Datenschutz-Grundverordnung gleich sechs mögliche Rechtfertigungsgründe zur Legitimierung des Verarbeitens personenbezogener Daten finden, so kennt die ePrivacy-Verordnung nur einen einzigen, nämlich die Einwilligung.
Sicherlich ist die Konzentration auf diesen Rechtfertigungsgrund nicht schlichter Einfallslosigkeit auf Seiten der Entwurfsverfasser geschuldet. Eher ging es wohl darum, ein klares Zeichen zu setzen, pro datenbezogener Selbstbestimmung. Dies mag zugleich eine Reaktion sein auf die aus Brüsseler Sicht unzulängliche Umsetzung der ePrivacy-Richtlinie in den Mitgliedstaaten. Konnte vor allem die Werbewirtschaft bislang mit der Richtlinie gut auskommen, so trifft es sie mit der Verordnung nun umso härter. Dies führt zu harscher Ablehnung des zu verabschiedenden Regelwerks in der Wirtschaft. Jedoch bemerkenswert war die Schelte, mit der erfahrene Werber letztens ihr eigenes Lager konfrontierten: „Dass die Verordnung so radikal ausfällt, hat sich die digitale Werbeindustrie ein Stück weit selbst zuzuschreiben“, hieß es selbstkritisch in der WirtschaftsWoche. „Die ganze Branche hat versagt. Sie hat es versäumt, respektvoll mit den Daten der Verbraucher umzugehen. Sie hat zuletzt auch versäumt, tragfähige Kompromisse zu formulieren. Nun stehen wir kurz vor dem Ende der Onlinewerbung“.
Ob diese radikale Erwartung am Ende bestätigt werden wird, muss abgewartet werden. Jedenfalls wird es stark darauf ankommen, dass mehr auf die Interessen der Nutzerinnen und Nutzer eingegangen wird.
Bezahlvarianten als Lösung?
Der Verbraucherschaft müsste vor allem klar und ehrlich die grundsätzliche Wahl aufgezeigt werden, die sie hat. Denn kein Angebot, kein Dienst im digitalen Bereich ist „kostenlos“. Kosten entstehen immer. Nur werden sie eben nicht immer direkt vom Nutzenden eingefordert. Entweder werden Angebote direkt finanziert, mittels Bezahlung in Geld durch den Nutzer. Oder es wird indirekt finanziert, indem technischermöglicht wird, dem (dann stärker beobachteten) Nutzer personalisierte/individualisierte Werbung zuzuspielen, für die ein Dritter bezahlt – dieses dann wiederum in Geld. Nahe läge es nun, schlicht eine Auswahl zwischen beiden Systemen anzubieten.
Wer sich relativ unbeobachtet („anonym“) durchs Netz bewegen will, müsste dann für bislang indirekt finanzierte Informations- und Unterhaltungsangebote künftig direkt bezahlen. Und wer sich an einem gewissen Grad kommerzieller Überwachung nicht stört, der kann die Angebote mit Tracking-Komponenten nutzen – sprich „Ersparnis gegen Beobachtung & Personalisierung“.
Doch lässt sich die Nutzerschaft im dritten Jahrzehnt des World Wide Web nicht mehr so einfach in zwei ähnlich große Lager aufteilen. Zu sehr hat sich nahezu die gesamte Nutzerschaft über die Zeit daran gewöhnt, dass viele Inhalte im Netz ohne direkte Gegenleistung ihrerseits abgegeben werden. Die Begriffe „Kostenloskultur“ und „Gratismentalität“ kamen daher sehr in Mode (wenngleich sie bereits von einigen Jahren kritisiert wurden). Diese verfestigte Erwartungshaltung lässt viele Nutzer vor Bezahlmodellen im Bereich von Online-Medien und sonstigen gebührenfrei angebotenen Service-Leistungen zurückweichen.
Viele digitale Dienste werden daher erst gar nicht in einer Bezahlvariante angeboten. Ob die Befürchtungen der Werbewirtschaft zutreffen werden, wonach die Mehrzahl der das Internet Nutzenden weder zur aktiven Einwilligung in Werbepersonalisierung mittels Tracking noch zur Bezahlung direkter Gebühren bereit wären, das wird die kommende Praxis zeigen. Das Gesetzgebungsvorhaben zur ePrivacy-Verordnung wird daher nicht allein die Anpassungsfähigkeit der digital Werbetreibenden auf eine intensive Probe stellen. Es wird auch zeigen, ob die Nutzerinnen und Nutzer in Sachen Einwilligung & Zahlungsbereitschaft eine neue Haltung entwickeln werden.
Der Beitrag ist im Fachmagazin PinG erschienen.