Unter welchen Bedingungen erlaubt die EU-Datenschutzgrundverordnung das Übersenden von Werbung?
Rechtsgrundlagen
Artikel 6 Absatz 1a) und f) sowie Erwägungsgrund 47 Datenschutzgrundverordnung und § 7 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb)
Voraussetzungen
Werbung ist zulässig, wenn die betroffene Person eingewilligt hat, Artikel 6 Absatz 1a) DSGVO.
Gleichberechtigt neben der Einwilligungsregelung steht die Interessenabwägung gemäß Artikel 6 Absatz 1f) DSGVO. Die Datenschutzkonferenz verweist in ihrem Kurzpapier darauf, dass die Grundsätze des Artikels 5 DSGVO einzuhalten sind, insbesondere eine faire Verfahrensweise, die dem Verarbeitungszweck angemessen und für die betroffene Person nachvollziehbar ist (etwa die Benennung der Datenquelle).
Folgendes ist im Einzelnen zu berücksichtigen:
- die Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zwecke der Direktwerbung kann als eine einem berechtigten Interesse dienende Verarbeitung betrachtet werden (Erwägungsgrund 47)
- die betroffenen Personen müssen Direktwerbung vernünftigerweise erwarten können
- nach Auffassung der Datenschutzaufsichtsbehördenmuss eine Geschäftsbeziehung bestehen (die betroffene Person ist Kunde des Verantwortlichen oder nutzt seine Dienste bereits)
- Telefon- und Faxwerbung ist nur mit Einwilligung erlaubt (§ 7 Absatz 2 UWG)
- E-Mailwerbung ist weiterhin nur mit Einwilligung erlaubt, es sei denn es werden Bestandskunden angeschrieben, um eigene ähnliche Produkte zu bewerben und dem Kunden wird ein Widerspruchsrecht eingeräumt (§ 7 Absatz 3 UWG)
Verarbeitung von besonderen Kategorien personenbezogener Daten
Hier ist Artikel 9 DSGVO zu berücksichtigen, der in Bezug auf die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten für Zwecke der Werbung die Zulässigkeit dieser Verarbeitung von einer ausdrücklichen Einwilligung der betroffenen Person abhängig macht. Werbemaßnahmen von Unternehmen aus der Gesundheitsbranche (z.B. Optiker) sind damit unter den einschränkenden Voraussetzungen des Artikels 9 DSGVO zu betrachten.
Fortgeltung von Einwilligungen
Nach Auffassung der deutschen Aufsichtsbehörden gelten bereits eingeholte Einwilligungen zwar fort, worauf auch das Kurzpapier der Datenschutzkonferenz verweist. Dennoch ist zu beachten, ob sie den Anforderungen der Datenschutzgrundverordnung entsprechen, wobei insbesondere das Merkmal der Freiwilligkeit zu prüfen ist. In der Praxis hängt mit der Frage der Freiwilligkeit oftmals ein unzulässiges Kopplungsverbot zusammen. Siehe hierzu den nachfolgenden Punkt.
Kopplungsverbot und „Kostenlose“ Dienstleistungen
Das Kurzpapier der Datenschutzkonferenz ist hierzu aufschlussreich: Bei Dienstleistungsangeboten, bei denen die Nutzer mit der Zustimmung für eine werbliche Nutzung mit ihren Daten bezahlen (z.B. die Einrichtung eines kostenlosen E-Mail-Accounts durch einen kommerziellen Anbieter unter der Voraussetzung, in den Erhalt eines regelmäßigen Newsletters einzuwilligen), muss diese Gegenleistung des Nutzers bei Vertragsschluss klar und verständlich dargestellt werden. In diesem Falle soll nach Auffassung der Aufsichtsbehörden keine Einwilligung erforderlich sein.
Ansonsten verweist das Kurzpapier im Hinblick auf die Beurteilung der Freiwilligkeit einer Einwilligung darauf, dass der Frage in größtmöglichem Umfange Rechnung zu tragen ist, ob die Erfüllung eines Vertrages von der Einwilligung zu einer Datenverarbeitung abhängig gemacht wird, die für die Vertragserfüllung aber nicht erforderlich ist.
Auslegungshilfen
Weitere Hinweise und Interpretationshilfen in Bezug auf die vernünftigen Erwartungen einer Person können den Empfehlungen der Artikel-29-Datenschutzgruppe entnommen werden. Diese beziehen sich zwar noch auf die entsprechende Reglung in der EU-Richtlinie 95/46/EG, enthalten jedoch umfassende Ausführungen zu den Merkmalen der berechtigten Interessen eines Verantwortlichen sowie den Grundrechten und Grundfreiheiten der betroffenen Personen, die im Abwägungsprozess gegenüber zu stellen sind (Artikel-29-Datenschutzgruppe, WP 217, S. 30 ff. ). Als berechtigtes Interesse des Verantwortlichen sollen zwar grundsätzlich die Wahrnehmung des Rechts auf Meinungs- und Informationsfreiheit sowie herkömmliche Direktwerbung und andere Formen des Marketings oder der Werbung gelten. Dies bedeutet jedoch nicht, so führt die Artikel-29-Datenschutzgruppe aus, dass damit auch zwangsläufig die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung gemäß Artikel 6 Absatz 1f) DSGVO bejaht werden könnte. Es kommt vielmehr stets auf die Ausgewogenheit der Interessen an. Die Artikel-29-Datenschutzgruppe verweist in diesem Zusammenhang beispielhaft auf komplexe Profilbildungen zu persönlichen Besonderheiten und Vorlieben von Kunden (WP 217, S. 33), die einen massiven Eingriff in die Privatsphäre des Kunden darstellen können.
In den Abwägungsprozess sind daher einerseits die Folgen für die betroffenen Personen einzubeziehen, andererseits jedoch ebenso mögliche Maßnahmen, die zum Schutz der betroffenen Personen getroffen werden: technische und organisatorische Maßnahmen zur Sicherstellung dessen, dass die Daten nicht benutzt werden können, um Entscheidungen oder andere Maßnahmen im Zusammenhang mit einzelnen Personen zu treffen („funktionelle Trennung“), die verstärkte Nutzung von Anonymisierungstechniken, die Aggregation von Daten (WP 217, S. 53).
Dies alles bedarf im Einzelnen zukünftig noch einer detaillierten Klärung.
Was müssen Unternehmen beachten?
Aufgrund des gerade erwähnten Klärungsbedarfs, ist es in diesem Bereich derzeit schwierig, eine konkrete Anleitung zu formulieren, da europaweit geltende Verhaltensregeln angestrebt und Leitlinien des Europäischen Datenschutzausschusses entwickelt werden sollen.
Insgesamt gilt,
- dass Direktwerbung im Rahmen einer bestehenden Geschäftsbeziehung zulässig sein kann, erfolgt diese jedoch per E-Mail gelten ergänzend die Regelungen des UWG: Es dürfen ohne Einwilligung des Kunden nur eigene ähnliche Produkte beworben werden, sofern der Verantwortliche dessen E-Mail-Adresse im Zusammenhang mit dem Verkauf einer Ware oder Dienstleistung erhalten hat und er muss zudem deutlich auf das Widerspruchsrecht hinweisen (§ 7 Absatz 3 UWG).
- dass die vernünftigen Erwartungen der betroffenen Personen im Wesentlichen durch die Informationen (Artikel 13, 14 DSGVO) bestimmt werden.
- dass nach der Datenschutzgrundverordnung stets ein ausdrücklicher und verständlicher Hinweis auf das jederzeitige Widerspruchsrecht im Rahmen von Werbemaßnahmen erfolgen muss (Art. 21 DSGVO).
Links
Die Datenschutzkonferenz stellt ein Kurzpapier zum Thema Werbung zur Verfügung.
Die Artikel-29-Datenschutzgruppe hat bereits im Jahre 2014 Leitlinien zur Auslegung von „berechtigten Interessen des Verantwortlichen“ sowie „Grundrechten und Grundfreiheiten der betroffenen Personen“ veröffentlicht. Diese Empfehlungen können derzeit als Auslegungshilfe herangezogen werden, auch wenn sie sich nicht ausschließlich mit Werbemaßnahmen befassen, sondern allgemein die Datenverarbeitung aufgrund berechtigter Interessen definieren. So verweist die Artikel-29-Datenschutzgruppe etwa auch auf mögliche Schutzmaßnahmen, um die Grundfreiheiten und Grundrechte der betroffenen Personen im Rahmen der Datenverarbeitung sicherzustellen. (WP 217, 09.April 2014; Deutsche Fassung)
Prof. Dr. Thomas Hoeren hat einen wissenschaftlichen Aufsatz zur Frage des Direktmarketings verfasst. Anders als die Aufsichtsbehörden ist er der Auffassung, dass E-Mail-Werbung künftig ohne Einwilligung des Kunden zulässig sein wird, solange ein Widerspruchsrecht eingeräumt wird. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass das Kurzpapier der Datenschutzkonferenz davon ausgeht, dass im Rahmen der Interessenabwägung von Artikel 6 Absatz 1f) DSGVO bei Werbemaßnahmen eine bestehende Geschäftsbeziehung zwischen dem Verantwortlichen und der betroffenen Person erforderlich ist. Entsprechend geht auch § 7 Absatz 3 UWG davon aus, dass eine E-Mail an Bestandskunden für eigene Produkte zulässig sein kann.