OLG Stuttgart: Lidl Plus darf trotz Zahlung mit Daten als kostenlose App beworben werden
23. Oktober 2025Das Oberlandesgericht Stuttgart (Az. 6 UKl 2/25) hat am 23. September 2025 entschieden, dass Lidl sein Loyalty-Program „Lidl Plus“ weiterhin als kostenlos bezeichnen darf und nicht transparent darüber aufklären muss, dass im Gegenzug persönliche Daten der App-Nutzenden von Lidl und anderen Dritten genutzt werden. Die Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) gegen den Discounter wurde abgewiesen.
Der VZBV hatte Lidl aufgefordert, es zu unterlassen, die Bonus-App Lidl Plus als kostenlos zu bezeichnen, weil sie damit gegen die Pflicht zu Angabe eines Gesamtpreises für die Nutzung verstoße.
Der VZBV vertritt die Auffassung, dass ein Preis nicht zwingend in einem Geldbetrag zu leisten sei. Vielmehr sei die Bereitstellung der personenbezogenen Daten der Preis für die Nutzung der App. Lidl hingegen ist der Auffassung, ein Gesamtpreis sei weder darstellbar, noch habe er angegeben werden müssen, weil kein Preis in Geld vereinbart worden sei. Die gesetzliche Vorgabe aus Art. 246a Abs. 1 Nr. 5 EGBGB verlange nur dann die Angabe eines Gesamtpreises, wenn eine Zahlung in Geld und nicht eine Bereitstellung personenbezogener Daten vereinbart sei.
Das Gericht befand, dass im deutschen und europäischen Verbraucherrecht unter einem „Preis“ ausschließlich eine Zahlung in Geld oder eine geldwerte digitale Gegenleistung, nicht aber irgendeine sonstige Gegenleistung zu verstehen sei. Die Bereitstellung personenbezogener Daten zähle daher nicht als Preis im Sinne der § 312d BGB i.V.m. Art. 246a § 1 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB. Der Verbraucherschutz würde „insoweit durch die Informationspflichten des Unternehmers nach Art. 13 und 14 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gewährleistet.“ Auch Art. 2 Nr. 7 der Digitalen-Inhalte-Richtlinie (EU) 2019/770 bestätige diese Auslegung, da danach unter einem „Preis“ Geld oder eine digitale Darstellung eines Wertes, das bzw. die im Austausch für die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen geschuldet wird, zu verstehen sei.
Der Datenschutz der Nutzenden sei nach Auffassung des Gerichts bereits durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) geregelt. Unternehmen müssen nach Art. 13 und 14 DSGVO klar darüber informieren, welche Daten sie erheben und wie sie verwendet werden.
Auch aus Sicht des Wettbewerbsrechts (UWG) sah das Gericht keine Täuschung der Verbraucher*innen. Zwar könne es irreführend sein, wenn Unternehmen ihre Online-Dienste als kostenlos bewerben, aber verschweigen, dass Nutzendendaten wirtschaftlich genutzt werden. Doch bei Lidl sei die Datennutzung in den Nutzungsbedingungen kommuniziert worden. Die Bezeichnung „kostenlos“ sei daher nicht wettbewerbswidrig.
Der VZBZ hat am 7. Oktober 2025 gegen das Urteil Revision eingelegt. Das Aktenzeichen am Bundesgerichtshof lautet I ZR 198/25.
Bedeutung für Verbraucher*innen und Unternehmen
Das Urteil des OLG Stuttgart betrifft viele digitale Angebote und Treueprogramme, bei denen Nutzende Rabatte oder Inhalte gegen Einwilligung in die Beobachtung ihres Einkaufsverhaltens, dem Profiling und des Weiterverkaufs dieser Informationen erhalten.
Kirsten Bock, unsere Wissenschaftliche Leiterin, sieht das Urteil kritisch und wagt einen Blick in die Zukunft: „Das Gericht führt aus, dass diejenigen Personen, die die Nutzungsbedingungen nicht lesen würden, auch nicht erfahren würden, dass Lidl die App für kostenlos hält. Denn nur in den Nutzungsbedingungen sei dieser Hinweis enthalten. Diese Annahme dürfte an der Lebensrealität vorbei gehen. Denn schon beim Download einer App ‚erfahren‘ die Nutzenden, ob eine App kostenlos oder kostenpflichtig angeboten wird. In diesem Stadium aber sind die Nutzungsbedingungen i.d.R. noch gar nicht bekannt oder nur durch weitere ‚clicks‘, Scrollen und Aufklappen weiterer Felder in Teilen ersichtlich. Insofern ist nicht nachvollziehbar, warum das Gericht annimmt, die Teilnahme werde nicht bereits im Anmeldeprozess als kostenlos beworben.
Spannend bleibt, ob der BGH sich der Auslegung des Begriffs ‚Preis‘ anschließen wird. Insbesondere die Digitale-Dienste-Richtlinie stellt die Bereitstellung personenbezogener Daten der Zahlung eines Preises gleich. Art. 3 Abs. 1 S. 2 soll sicherstellen, dass Verbraucher*innen unabhängig von der Zahlung eines Preises vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst und damit geschützt werden. Insofern erscheint es fraglich, dass ausgerechnet Bestimmungen einer Richtlinie, die ein hohes Verbraucherschutzniveau herstellen soll, in der Auslegung des Gerichts das Schutzniveau von Verbraucher*innen absenken, indem dem Anbieter nicht aufgegeben wird, über den Gesamtpreis oder eine vergleichbare Information zu informieren.
Die Differenzierung zwischen Preis und personenbezogenem Datum soll richtigerweise davor schützen, dass personenbezogene Daten als Ware gehandelt werden. Unabhängig davon, dass dies in der Realität längst der Fall ist, schützt das Grundrecht auf Datenschutz aber auch Verbraucher*innen vor Verarbeitungen, über die sie nicht vollständig informiert wurden. Gerade die datenschutzrechtliche Einwilligung, die nicht in einem synallagmatischen Verhältnis steht, kann nur wirksam erteilt werden, wenn die Betroffenen vor der Verarbeitung in einfacher und klarer Sprache vollumfänglich über die Verarbeitung informiert wurden.
Bei der Lidl Plus App ist dies ausdrücklich der Nutzungsinformationen nicht der Fall. Dort heißt es: ‚Lade die Lidl Plus App gratis herunter, melde dich an und spare jeden Tag mit exklusiven Lidl Plus Aktionen.‘
Erst weiter unten nach Aufklappen einer weiteren Ansicht erfahren die Nutzenden:
‚Der Dienst richtet sich an Verbraucher, die von der Lidl Stiftung personalisierte Informationen über Angebote und Aktionen von Lidl Plus sowie über Angebote, Waren und Dienstleistungen von ausgewählten Kooperationspartnern und Lidl-Gesellschaften erhalten möchten, die möglichst stark ihren Interessen entsprechen. Grundlage für die Ermittlung der relevanten Interessen ist das Kauf- und Nutzungsverhalten hinsichtlich der Produkte und Services der Lidl-Gesellschaften.‘
Nach einigem weiteren Scrollen wird darüber informiert, dass Datenanalysetechnologien und Tracking zum Einsatz kommen. In der Webversion müssen die einzelnen Elemente der Teilnahmebedingungen jeweils separat als PDF-Dokumente abgerufen werden. Da das System personalisierter Werbung selbst für Expert*innen kaum überschaubar ist, kann nur schwer erwartet werden, dass Verbraucher*innen aus den bereitgestellten Informationen den Umfang und Detaillierungsgrad der Personalisierung erfassen.
Die vertraglich zu erbringende Gegenleistung stellt im Falle der Einwilligung zur Bereitstellung personalisierter Werbung ein umfängliches Tracking und Profiling der Person einschließlich des Verkaufs der die Person betreffenden personenbeziehbaren Daten zur Bereitstellung von Coupons und anderen Werbeinformationen dar. Wird diese Information erst nach Aufruf weitere Seiten bekannt, handelt es sich zumindest um eine Form von sog. ‚dark patterns‘ und insofern um eine Verschleierung des Umstands, dass die Teilnahme nicht nur mit der Übermittlung von personenbezogenen Daten im Anmeldeprozess, sondern mit einer zeitlich unbefristeten Protokollierung und Auswertung von Nutzungs- und Einkaufsverhalten als Gegenleistung einhergeht.
Das Gericht führt an, es habe den Streitgegenstand unter sämtlichen rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Zwar setzt es sich kursorisch mit den Anforderungen der Art. 13 und 14 DSGVO auseinander ohne dabei jedoch auf die den Informationspflichten vorausgehenden möglichen Rechtsgrundlagen einzugehen.“