AUS SICHT DER STIFTUNG DATENSCHUTZ - Preisindividualisierung und Persönlichkeitsschutz
Der Schutz von Personendaten soll davor wahren, dass durch den Umgang mit diesen Daten das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird“. Das gesetzliche Leitbild ist seit Jahrzehnten klar formuliert. Was das tatsächlich bedeutet, hängt allerdings vom Kontext ab. Selten werden Daten absichtlich verwendet, um Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Oft ergibt sich die reale Beeinträchtigung erst mittelbar aus der Art und Weise der Datenverwendung. Wie verhält es sich bei der Individualisierung von Tarifen und Preisen? Wie vereinbar ist es mit dem Zweck des Datenschutzes, wenn ein Kaufpreis auf nicht offengelegte Weise datenbasiert zustande kommt? Und wie verhält es sich, wenn dem geneigten Käufer das Ergebnis dieses Vorganges objektiv zum Vorteil gereicht?
Ein Thema für den Datenschutz?
Das Volkszählungsurteil gibt seit jeher die Leitschnur vor: Jedes Datensubjekt sei berechtigt, „grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen“. Auch wenn es sich beim zu Grunde liegenden Sachverhalt – und deshalb zu gutem Teil auch bei der richterlichen Bewertung dieses Sachverhaltes – um das Verhältnis Bürger und Staat drehte, so wird traditionell beim Datenumgang zwischen Privaten ein gleicher Grundmaßstab angelegt. Wenn dem Datensubjekt als Kunden ein Preis für eine konkrete Ware oder Dienstleistung angeboten wird, der ohne sein Wissen auf einer Analyse seiner persönlichen Daten basiert, dann scheint es mit der Selbstbestimmung über diese Datenverwendung nicht her. Doch man muss unterscheiden. Kein Thema für das Recht zum Datenschutz sind rein dynamische Preise im herkömmlichen Sinne. Das heißt, dass Preise für einen Artikel im Ladengeschäft so oft schwanken, dass der Händler (ferngesteuerte) LCD-Displays an Stelle von Preisetiketten verwendet. Der Verbraucherschaft ist derartiges seit Jahrzehnten bekannt: von der Zapfsäule.
Interessant wird es erst, wenn dynamische Preise einen Personenbezug erhalten, wenn also Einheitspreise aufgegeben werden und dies einher geht mit Individualisierung und Identifizierung. Datenschutzrechtlich relevant ist dabei die Feststellung, ab wann „personenbezogene Daten“ verarbeitet werden.
Nur segmentiert, oder schon identifiziert?
Eine Einteilung von Kunden und Interessenten in „Schubladen“ – je nach Region, benutztem web-Zugangsgerät oder Browsertyp – ist bei anonymisierter Vornahme dieser Einordnung datenschutzrechtlich noch unproblematisch. Gleichwohl richtet sich auch hiergegen bereits Widerstand. So hat Anfang des Jahres der Landesverbraucherschutzminister von Nordrhein-Westfalen eine gesetzliche Eindämmung solcher Preissegmentierungen gefordert.
Er stützte seine Forderung auf eine Umfrage, nach der Verbraucher es ablehnten, in bestimmte Schubladen zu geraten („zahlungsschwache Region“) und dann modifizierte Preise angeboten zu bekommen. Einzig eine Art von positiver Diskriminierung würden die Befragten akzeptieren, nämlich spezielle Niedrigpreise für treue Kunden.
Einmal ganz abgesehen vom Gesichtspunkt der Akzeptanz stellt es sich in Sachen Datenschutz bei einer Kombination von verfügbaren Konsumentenmerkmalen oder beim Einsatz komplexerer Verfahren wie dem „Browser-Fingerprinting“ schon schwieriger dar. Die Wege zur Gewinnung von Merkmalen sind divers. So kann durch Analyse des Surf-Verhaltens zunehmendes Interesse des Inhabers einer bestimmten IP-Adresse an einer beworbenen Sache detektiert werden, etwa bei mehrmaligem Aufrufen der Seite. Auch nachlassendes Interesse – welches es vielleicht durch Rabattierung anzufeuern gilt – kann abgebildet werden, so bei längerem unangetasteten Verbleib eines Artikels auf einer Merkliste. Der Jagd nach Identifizierbarkeit scheinen kaum Grenzen gesetzt. So können IT-Systeme angeblich sogar anhand von Eigenheiten der die Prozessortaktung steuernden Quartzsteinchen wiedererkannt werden.
Wann in den geschilderten Konstellationen der Datenschutz ins Spiel kommt, hängt stark von der Definition des Personenbezuges ab. Da es mit der DSGVO in Richtung eines absoluten Personenbezuges geht, d. h. hin zu einer merklichen Ausweitung der Definition, ist die Entwicklung spannend.
Preisindividualisierung auf dem Vormarsch?
Fallzahlen zumindest gibt es noch keine. Die Bundesregierung hält die Verbreitung datenbasierter dynamischer Preise für bislang gering und will die Entwicklung zunächst beobachten. Jedenfalls ist ihr in der Einschätzung zuzustimmen, dass bei einer Preisgestaltung durch Algorithmen auf Basis von Big Data die Gefahr von Intransparenz und Informationsasymmetrien wächst.
An dieser Stelle sei einmal, ganz abgesehen von der rechtstechnischen Dimension, die Frage in den Raum gestellt, ob hier nicht das Datenschutzrecht bei manchen in den Fokus gerät, um zur Lösung verbraucher- und sozialpolitischer Fragen herangezogen zu werden.
Wann sind Preise gerecht?
Fragt man Ökonomen nach dem gerechten Preis, so werden es viele mit Arthur Cecile Pigou halten, der in den 1920er Jahren proklamierte, dass es keinen objektiv richtigen Preis einer Ware gebe, sondern allein persönliche Werteinschätzungen. Diesen Gedanken weitergedacht, wären Einheitspreise zwar in höchstem Maße transparent, aber in niedrigstem Maße gerecht, jedenfalls in individualistischer Lesart. Ein Einheitspreis ist bekannt, leicht verständlich und nachvollziehbar. Vor allem weist er hohe Transparenz auf – eine Eigenschaft, die Verbraucherinnen und Verbraucher selber gerade nicht innehaben wollen.
Denn ist eine Person in ihrer Eigenschaft als Konsument und in ihrem Kaufverhalten erst einmal durchsichtig, dann ist es für die Gegenseite leicht, den individuell aus Verkäufersicht adäquaten Preis zu fordern. Adäquanz bedeutet hier natürlich Gewinnmaximierung, denn bei hoher Zahlungskraft ist ein hoher Preis, den der Wohlhabende für die gleiche Leistung.
Gerade noch bezahlt, nur in den Augen des Verkaufenden „angemessen“. Mag eine solche Kaufkraftabschöpfung aus Sicht des belasteten Besserverdienenden unerwünscht sein, so kann sie bei leistungsschwächeren Verbrauchern durchaus willkommen sein. Denn es wird nicht mehr ein – aus ihrer Perspektive zu hoher – Einheitspreis verlangt, sondern ein so weit ermäßigter, bei dem ein Handel mit dem schwächeren Konsumenten gerade noch zu Stande kommt.
Wenn die Diskussion sich auf derlei Gerechtigkeits- und Umverteilungserwägungen verlegt, hat dies mit der eigentlichen Zielstellung des Datenschutzes kaum mehr zu tun. Solange nicht informationelle Entscheidungsfreiheit und die Autonomie der Kundschaft beschnitten werden, sondern lediglich Unklarheiten über das Zustandekommen eines konkreten Preises zunehmen und wirtschaftliche Benachteiligungen drohen, so mag dies aus Verbrauchersicht sehr unerwünscht sein.
Das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen als Schutzgut des Datenschutzes wird dadurch aber nicht eingeschränkt. Gleichwohl können individualisierte Preise datenschutzrechtswidrig sein, je nach Zustandekommen. Inwieweit die DSGVO hier den Spielraum einschränkt, ist eine spannende Frage, die es weiter zu beleuchten gilt.
Der Artikel stammt aus dem Fachmagazin PING Ausgabe 06/2016.