AUS SICHT DER STIFTUNG DATENSCHUTZ: (Datenschutz-)Recht und (Medien)Freiheit

Ein Beitrag von Frederick Richter, Vorstand der Stiftung Datenschutz

Kann ich als Vertreter einer Organisation, die den Datenschutz im Namen trägt, an ein wichtigeres Grundrecht als den Datenschutz denken? Nun, ich kann jedenfalls sehr gut an genauso wichtige Grundrechte denken. Denn auch der Datenschutz ist natürlich kein „Supergrundrecht“, um eine Wortschöpfung eines ehemaligen Bundesinnenministers abzuwandeln. Daher geht es in meiner Kolumne dieser PinG-Ausgabe ausnahmsweise einmal nur um die Einschränkung des Datenschutzes. 

Blicken wir auf Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Informationsfreiheit. Letztere ist sicherlich dasjenige Freiheitsrecht unter den dreien, das am wenigsten im Rampenlicht steht. Zwar tragen bereits 12 der 16 deutschen Landesdatenschutzaufsichten und die Bundesaufsicht die Informationsfreiheit im Behördennamen. Doch liegt dabei der Schwerpunkt „bloß“ auf der Durchsetzung des Zugangs zu amtlichen Informationen öffentlicher Stellen. Anders als dieser Regelungsgegenstand der deutschen Informationsfreiheitsgesetze reicht die in Art. 10 EMRK neben anderen Kommunikationsfreiheiten enthaltene Informationsfreiheit weiter: Sie schützt allgemein die Beschaffung, den Empfang und die Weitergabe von Informationen vor behördlichen Eingriffen oder staatlichen Begrenzungen.

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Um diese Art von Informationsfreiheit, vor allem um den Informationszugang zu Berichterstattungszwecken für die Presse, geht es auch in Art. 85 der Datenschutz-Grundverordnung. Die Norm regelt diese Medienfreiheit allerdings nicht selbst, sondern überlässt eine Regelung den Mitgliedstaaten. Diese haben wiederum nur Spielraum hinsichtlich des Wie und nicht des Ob. So enthält Art. 85 DSGVO den klaren Auftrag an die EU-Mitglieder, mit jeweils eigenen Gesetzen das Recht auf Datenschutz mit dem Recht auf Meinungsäußerungs-und Informationsfreiheit in Einklang zu bringen. Diese Vorgabe hat Deutschland im Rahmen des Erlasses des neuen BDSG noch nicht befolgt.

Klarer Regelungsbedarf

Der Bundesgesetzgeber sieht für das Pressewesen ausschließlich die Länder zuständig und sich selbst unter der DSGVO nicht mehr in der Lage, eine Rahmenvorgabe zu einem Medienprivileg wie noch in § 41 Abs. 1 BDSG a. F. im Zuge der Anpassungsgesetzgebung zu erlassen. Vielmehr geht die Bundesregierung fest davon aus, dass die Landesgesetzgeber das Presseprivileg wie bisher absichern werden. Die Problematik ist in den Bundesländern natürlich auch bekannt. Und alle bereits mit der DSGVO-Anpassung befassten Länder sehen bei der Neufassung ihrer Landesdatenschutzgesetze denn auch Ausnahmen für Presse und Rundfunk vor und erfüllen damit die Erwartung des Bundes.

Doch die Zeit drängt. Kommen pressebezogene Ausnahmeregelungen nicht rechtzeitig zur Anwendung der Grundverordnung Ende Mai zu Stande, wird sich ein großes Problem für die freie Berichterstattung ergeben: Eine durch kein Medienprivileg eingeschränkte Anwendung des datenschutzrechtlichen Verbotsprinzips und besonders des Auskunftsrechts würde die Tätigkeit der Presse stark beeinträchtigen: Die Anwendung des Datenschutzrechts auf die redaktionelle Arbeit würde dazu führen, dass jeder Betroffene an interne Informationen der Redaktionen gelangen könnte. Eine solche Ausforschung wäre geeignet, investigativen Journalismus zurückzudrängen.

Es gilt daher, in der Fläche Rechtssicherheit zu schaffen für die journalistischen Tätigkeiten der Recherche und Weiterverarbeitung der dabei gesammelten – meist personenbezogenen – Informationen. Falls das Datenschutzrecht dort zukünftig voll greifen würde, könnte es ansonsten heißen: Datenschutz sticht Quellenschutz. Denn letzterer könnte von Personen, die Gegenstand von Berichterstattung sind, mittels der Betroffenenrechte der informationellen Selbstbestimmung ausgehebelt werden. Dies könnte eine freie Berichterstattung empfindlich gefährden.

Nicht nur Presse, auch PR?

Der Bund deutscher Pressesprecher befürchtet darüber hinaus eine deutliche Erschwerung der heute üblichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen und Verwaltung. Daher haben wir die Problematik mit dieser Berufsgruppe im März dieses Jahres auch einmal näher diskutiert. Schwierigkeiten werden vor Allem erwartet, wenn bei Abbildungen von Personen unter Anwendung der DSGVO nicht mehr auf die Ausnahmetatbestände und Erleichterungen des Bildnisrechts aus dem Kunsturheberrechtsgesetz zurückgegriffen werden kann. Der relativ unkomplizierte Umgang mit Fotos von Personen mit zeitgeschichtlichem Bezug – z. B. bei Abbildung eines Ereignisses oder einer Versammlung – war bislang einwilligungsfrei möglich.

Das Gesicht einer Person kann jedoch leicht als personenbeziehbares Datum angesehen werden, sodass ein den KUG-Ausnahmen vorangehendes Datenschutzrecht maßgeblich wäre. Infolge des verdrängenden Effekts der DSGVO auf das KUG, fällt auch die Möglichkeit zur einwilligungslosen Abbildung einer „relativen Person der Zeitgeschichte“ womöglich gänzlich weg. Ohne eine neue Ausnahme wird auf datenschutzrechtliche Erlaubnistatbestände ausgewichen werden müssen. Eine datenschutzrechtliche Einwilligung wiegt in diesem Zusammenhang jedoch schwächer als eine solche nach KUG. Während letztere nur unter besonderen Bedingungen widerrufbar ist, wird eine Einwilligung nach der DSGVO unbefristet zurückgeholt werden können. Dies bietet für Publikationen der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit deutlich weniger Rechtssicherheit.

Ob die derzeit in den Bundesländern konzipierten medienprivilegierenden Regelungen nur die Presse selbst erfassen sollen oder auch Pressestellen von Behörden und Wirtschaftsunternehmen, welche nicht journalistisch tätig sind, ist eine rein rechtspolitische Frage. Spielraum bietet Art. 85 DSGVO sowohl für die kleine Lösung, die allein die Presse betrifft, als auch für umfassendere Ausnahmen, die auch publizistische Öffentlichkeitsarbeit von Ministerien, Behörden und Unternehmen einbezieht.

Befürchtungen der Praxis

Aus der Presse sind jedenfalls alarmierte Töne zu vernehmen: „Thüringen darf die Europäische Datenschutz Grundverordnung nicht wie geplant umsetzen“, so die dortige DJV-Landesvorsitzende. Eine zukünftige Anwendung des Datenschutzrechts auf die redaktionelle Arbeit würde einen direkten Zugang zu Redaktionsgeheimnissen eröffnen. Der DJV veranschaulicht das mit einem Beispiel, in dem ein Behördenleiter erfahren könnte, wer aus seiner Verwaltung mit Journalisten geplaudert habe. Ein Unternehmer könnte herausbekommen, wer die Bilder über die Missstände in seinem Betrieb in Umlauf gebracht hat. Das mit derartig ausgeübten Betroffenenrechten einhergehende Behinderungspotential schiene tatsächlich gerade für freie Journalisten groß, weil sie nicht wie ein Verlag eine Rechtsabteilung im Rücken haben.

Manche Pessimisten unter den Journalisten plagt bereits eine Schreckensvorstellung: Mit Hilfe der Auskunfts- und Löschungsansprüche der DSGVO könnten Betroffene von Presseberichterstattung versuchen, sich als Zensor einer grundsätzlich freien Presse zu betätigen. Solchen Szenarien kann der Gesetzgeber freilich entgegenwirken – durch einen klugen Ausgleich der Grundrechte auf Medienfreiheit und auf Datenschutz.

Dieser Ausgleich ist notwendig, doch einfach erscheint er nicht. Denn es prallen völlig unterschiedliche aufgestellte Systeme aufeinander: Mit der Datenschutz-Grundverordnung werden auch alle Meinungsäußerungen dem datenschutzrechtlichen Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterworfen. Der Datenschutz verbietet damit grundsätzlich, konkrete Personen im Internet namentlich zu nennen. Die Meinungsfreiheit hingegen erlaubt grundsätzlich, sich auch zu konkreten Personen öffentlich kritisch zu äußern. Die Meinungsfreiheit kann nur durch Ausnahmen eingeschränkt werden. Der Umgang mit Personendaten wiederum kann nur durch Ausnahmen überhaupt ermöglicht werden. Es wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser „clash der Rechtsregime“ Nichtjuristinnen und -juristen ziemlich schwer vermittelbar sein mag.

Der schwierige Ausgleich sollte jedenfalls auf gesetzlichem Wege erfolgen. Deshalb spricht die DSGVO auch klar von „Gesetzgebungsmaßnahmen“ zur Abhilfe. Davon, dass auch Gerichtsentscheidungen ausreichen könnten, ist im Verordnungstext nicht die Rede – auch wenn der damalige Berichterstatter zur EU-Datenschutzreform kürzlich versicherte, dass es Kommission und Mitgliedstaaten „völlig klar“ gewesen sei, dass auch die Rechtsprechung Medienfreiheit und Datenschutz in Einklang bringen könnte.

Der Beitrag ist im Fachmagazin PinG erschienen.