Symposium: The Cultures of Privacy and Data Protection in the EU and in the U.S.

09. März 2016, 09:49 Uhr

"Digital Clothes" oder Unveräußerlichkeit? Internationale Wissenschaftler diskutieren Privatheit als Menschenrecht

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Bereits der Titel der Veranstaltung regte die eingeladenen Wissenschaftlern an, Grundsatzfragen zu diskutieren. Dass es unterschiedliche Sichtweisen auf Privatheit und Datenschutz auf der Welt gibt, bestritt keiner der Forscher aus so verschiedenen Ländern wie den USA, Frankreich, den Niederlanden oder Großbritannien. Die Fragen nach den Gründen dafür und den Schlussfolgerungen daraus zogen sich als roter Faden durch das englischsprachige Forum.

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Ivar Tallo von der e-Governance Academy Foundation Tallinn beschrieb das estnische Modell des Datenumgangs mit den Stichworten “Privacy by Design” und “Anonymity by Choice”. In Estland folgen die Menschen kulturell dem skandinavischen Modell, was Tallo auch mit den Erfahrungen von Besetzung und Diktatur erklärte. Zentrale Datenschutzstellen in der EU lehnt Tallo jedenfalls ab. Jeder sollte zukünftig selbst über den Umgang mit seinen Daten entscheiden und die Möglichkeiten des digitalen Wandels transparent nutzen können. Als Beispiel verwies Tallo auf die digitalen Patientenakten, die in Estland vor einigen Jahren eingeführt worden waren, und auf die Ärzte zu Behandlungszwecken zugreifen können. Dabei bestimmt der Patient für jeden Arzt sein Einverständnis neu. Bildhaft umschreibt Tallo diese Neuorientierung hin zum Bürger und weg von staatlichen Stellen mit seinem Idee von neuen „Digital Clothes“: Kein Algorithmus soll das Modell von Datenschutz und Zugang zur digitalen Welt determinieren, sondern die Bürger könnten und sollten das am besten selbst entscheiden. Je nach Lage könne sich so jeder die perfekte Kleidung für den jeweiligen Schutz aussuchen – ähnlich wie man sich für eine Bergwanderung oder ein Bewerbungsgespräch anders anzieht.

Gar nicht zustimmen wollte diesem Konzept Prof. Dr. Beate Roessler von der Universität Amsterdam. Ihr Vortrag handelte von der Privatheit als Grundlage für Demokratie und Partizipation am politischen Prozess. Für die Philosophin beschreiben Datenschutz und Privatheit keine Kultur, individuelles Verhalten oder technische Bestimmungen, sondern sind ein allgemeines unveräußerliches Recht, vergleichbar einem Menschenrecht. Es müsse jedoch positiv durch die Politik geregelt werden. Ähnlich beschrieb es auch Dr. Alexander Dix (European Academy for Freedom of Information and Data Protection): "The fundamental right of EU citizens should be protected regardless of where the processing takes place."

Die U.S.-amerikanische Perspektive trug Prof. Marc Rotenberg (Electronic Privacy Information Center) vor und stellte das berühmte "Right to Privacy" des amerikanischen Juristen und Supreme Court Justice Louis D. Brandeis in den Mittelpunkt. Jeder Mensch hat danach ein unveräußerliches Recht auf Privatheit. Dieses Recht dürfe auch in der digitalen Welt nicht verletzt werden. Dass Brandeis' Grundsatz immer noch aktuell ist, illustrierte Rotenberg anhand des Urteils gegen Google Spanien ("Recht auf Vergessenwerden"). Dennoch sieht Rotenberg das Recht auf Privatheit durch die Selbstpreisgabe der Daten in sozialen Medien und die Überwachungsmöglichkeiten neuer Kommunikationsmethoden gefährdet - speziell Bestrebungen zur Terrorbekämpfung in den USA. Dies sei weltweit zu beobachten; die Wissenschaft sei gefordert, durch komparative Forschungen global gültige Erkenntnisse zu erarbeiten.

Über Selbstbestimmung und Wahlfreiheit und das Verhältnis von Privatsphäre und Öffentlichkeit in den sozialen Medien sprach Prof. Dr. Oliver Zöllner von der Hochschule der Medien Stuttgart anhand der Frage, warum Eltern Fotos ihrer Kinder posten.

Zu den weiteren renommierten Referenten gehörten u.a. Prof. Michael Ronellenfitsch (Landesdatenschutzbeauftragter Hessen), Prof. Dr. Henry Farrell (George Washington University) und Dr. Julia Powles (Cambrigde University). Die Veranstaltung wurde moderiert vom Reuters-Journalisten Scot W. Stevenson und organisiert in Kooperation mit dem Forschungskolleg Humanwissenschaften und der Forschungsstelle Datenschutz der Goethe-Universität. 

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